Im Ringen ums Urheberrecht kämpft die Unterhaltungsbranche zunehmend verzweifelt gegen das Netz selbst. Dabei wäre es in jedermanns Interesse, wenn online kräftig Geld verdient würde mit Filmen, Musik, Büchern.

Die Worte von Lee de Forest lassen keinen Zweifel an seiner Begeisterung. Das neue Medium sei “zum ruhigen Lernen” genauso geeignet wie für “pures Vergnügen”. Er schwärmt von der “Freude, in Kontakt zu treten und Ideen auszutauschen”. Das neue Medium böte “unvergleichliche Unterhaltung und nützliche Informationen” und würde “ermöglichen, Nachrichten aus aller Welt” zu bekommen. Es gibt ein Problem mit dem Internet, und das erkennt man daran, dass Lee de Forest diese Worte nicht Ende des 20. Jahrhunderts über das heraufziehende Internet verfasste, sondern 1920 über das Radio. Damals war dieses Medium eher eine Mischung aus CB-Funk und heutigem Radio, regelrechte soziale Netzwerke schienen den Enthusiasten möglich. Bis in die zwanziger Jahre entsprach die Hoffnung auf die gesellschaftsverbessernde Wirkung des Radios ziemlich genau den Hoffnungen, die heute ins Internet gesetzt werden. Nicht zufällig trägt Brechts Radiotheorie ihren Namen.

In seinem brillanten Buch “The Master Switch” von 2010 hat Tim Wu, Rechtsprofessor an der University of Columbia, faszinierende Parallelen beschrieben: Bisher sei noch jede elektronische Informationsstruktur vom Telefon über das Radio bis zum Fernsehen nach einer weitgehend freien, offenen Startphase zu einem präzise regulierten Oligopol geworden. Beherrscht von Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle schützen und ausbauen wollen - und sich bei diesem Kampf vor allem der Politik bedienen. “Eine Radiolizenz zu bekommen ist kinderleicht und kostet nichts”, schrieb de Forest 1920. Ein paar Gesetze später hatte sich der Rundfunk in ein flächendeckendes, durchreguliertes Geschäftsmodell verwandelt, und schließlich geronnen alle Hoffnungen eines gesellschaftsverbessernden Radios zum CB-Funk, dem Liegefahrrad unter den Vernetzungstechnologien.

Ein Abgrund sieht anders aus

Der Kampf um das Medium findet heute statt in Form von kaum verborgenen Attacken auf das freie und offene Internet, mit Namen wie Sopa, Pipa oder Acta. Alle drei Abkürzungen stehen für das politische Ziel, die vernetzte Gesellschaft dem veralteten Urheberrecht anzupassen und nicht die entsprechenden Geschäftsmodelle dem Internet. Geplant werden solche Attacken von der Lobby einer Industrie, die ihre Inhalte verkaufen möchte, und zwar zu eigenen Regeln, ohne ärgerliche Störungen durch die digitale Realität. Ausgeführt aber werden die Attacken durch eine Politik, die versäumt hat, rechtzeitig selbst Sachkunde aufzubauen und nun zu gern das glauben möchte, was von internationalen Medienkonzernen mit Zuckerbrot und Peitsche vorgetragen wird. Es ist Verzweiflung zu spüren auf Seiten der großen Inhalteanbieter, immer erbitterter wird gekämpft und manipuliert. Natürlich eine Art Luxusverzweiflung, denn die Inhalteverwertungsindustrie ist keineswegs insgesamt am Ende. Sie musste Federn lassen, Geschäftsmodelle haben sich verschoben, ein Abgrund sieht jedoch anders aus.

Aber Verzweiflung macht aggressiv. Und so findet sich Ende Januar 2012 im “Handelsblatt” stellvertretend für die Hardliner in aller Welt eine Kriegserklärung eines einzelnen CDU-Abgeordneten, Ansgar Heveling: “…liebe Netzgemeinde: Ihr werdet den Kampf verlieren.” Verräterisch der Grund für seine Zuversicht: “…es ist die Perspektive eines geschichtsbewussten Politikers”. Wie bei Tim Wu nachzulesen, ist diese Perspektive nicht so lächerlich, wie sie auf den ersten Blick scheint. Wenn auch der Text im “Handelsblatt” einen etwas steilen Bogen schlägt, von der französischen Revolution bis zur unmittelbar bevorstehenden Digitalapokalypse. Nun ist diese Kolumne der falschestmögliche Ort, um steile Bögen zu verdammen. Aber wer so große Geschütze auffährt, hat den Nachteil, die eigentlichen Ziele kaum mehr verbergen zu können.

Es geht um nicht weniger als um die Abschaffung des Web 2.0, des Internets der Nutzer, so schreibt CDU-Mann Heveling wunderbar selbstentlarvend, wahrscheinlich ohne Rücksprache mit den strategisch geschulten Lobbyisten - aber mit der gleichen Haltung gegenüber dem Internet. Und damit ist endlich das Katzenfoto aus dem Sack - das ganze Gehampel darum, dass Gesetzesvorhaben wie Sopa, Pipa, Acta angeblich dem Netz nicht schaden, ist Maskerade. In den Augen der Acta-Verfechter ist die wesentliche Funktion des Web 2.0 gleichbedeutend mit der Gefahr: die technische Möglichkeit, zu teilen, und damit die Vernetzung der Nutzer untereinander. Das Problem des Internets ist das Internet, so denken zwar zum Glück nicht alle, aber noch zu viele und zu mächtige Inhalteverwerter mit Lobbyisten im Anschlag. Deshalb wird die Informationsstruktur, die wir Internet nennen, aus dieser Richtung immer und immer wieder attackiert werden.

Megaupload meets Facebook?

Und doch gibt es einen Hoffungsschimmer, absurderweise aus der Richtung von Megaupload. Bei aller bestätigten Schmierlappigkeit und vermuteten Illegalität hat diese Plattform gezeigt, dass sogar die als Piraten geschmähten, uneinsichtigen Downloader offenbar bereit sind, Geld für Inhalte zu bezahlen, selbst wenn diese ein paar Klicks weiter kostenlos sind. Wenn nur das Angebot entsprechend aufbereitet ist. Für sogenannte Premiumzugänge bekam Megaupload viel Geld. Nur besaß es nicht die Rechte an den Inhalten, zu denen die Nutzer so gerne Zugang haben wollten.

Genau hier besteht für das freie und offene Netz, wie wir es heute kennen, die Chance. Mit Tim Wu gesprochen war die Vermarktung medialer Inhalte bisher stets entscheidend für die Weiterentwicklung von großen Informationsstrukturen. Wenn also ein legaler Web-2.0-Markt für Musik, Filme, Bücher entsteht, mit ernstzunehmenden Umsätzen, der die Kraft der digitalen Vernetzung nutzt, statt sie zu bekämpfen - dann wird jeder dort ausgegebene Euro das Netz stärken. Denn es ist völlig legitim und wünschenswert, mit Inhalten Geld zu verdienen.

Illegitim ist es nur, zu diesem Zweck die Abschaffung des freien und offenen Internet herbeiführen zu wollen. Die Zukunft der Inhaltevermarktung könnte demnach eine Kombination aus Facebook und (legalem) Megaupload sein. Und wer weiß, vielleicht braucht Facebook für den Börsengang noch eine gute Story und bietet eine vergleichbare, aber legale Plattform für Inhalte an. Den Rest wird die Bequemlichkeit der Nutzer beitragen, der größte Teil des Publikums geht nämlich offensichtlich nicht den billigsten Weg, sondern den bequemsten.

tl;dr

Der Fortbestand des freien und offenen Netzes hängt auch davon ab, ob sich mit Inhalten ausreichend viel Geld verdienen lässt.

Source spiegel.de