Peter Shaffer - Equus
Sprechen wir über Equus von Peter Shaffer. Viele von euch kennen es vielleicht als das Stück, in dem Daniel Radcliffe nackt auf der Bühne stand. Als ich vor ein paar Jahren die Verfilmung aus den Siebzigern gesehen habe, ich war in einer Richard Burton-Phase, konnte ich mir nicht vorstellen, dass gewisse Szenen im Stück kraftvoller sein könnten. Weil sie sich vor allem im Kopf abspielen. Weil es nur kurze Rückzugsmomente aus den intensiven Sitzungs-Phasen gibt. Aber…
Aber es ist so. Equus ist ein Theaterstück, dass sich wie ein Thriller liest, obwohl gar nicht sooo viele schlimme Sachen passieren.¹ Und der eigentliche Kern, die Tat welche überhaupt zu den Therapiegesprächen geführt hat, bleibt relativ vage beschrieben. Und wird gerade dadurch umso eindringlicher.
Ein Psychiater, schon etwas älter und hochintelektuell, ein Junge von einfachem Gemüt. Es handelt sich um einen schweren Fall, der Erzähler ist die beste Hoffnung auf Erlösung durch so etwas wie Verständnis. Der Junge hat, in einem Zusammentreffen aus innerem Wesen und rigider Erziehung, einigen Stallpferden die Augen mit einer Sichel ausgestochen. Wie sich herausstellt, handelte es sich nicht um einen pubertären Wutanfall, sondern um eine Explosion, die tiefe Wurzeln hat. Der arme Junge wurde streng erzogen, mit einer großen Prägung auf christlichen Glauben durch die Eltern. Indes entwickelte er eine starke Faszination für Pferde, ihre Stärke und ihre Natürlichkeit. Schließlich bastelt er sich einen Schrein in seinem Zimmer und beginnt, als Stallbursche zu arbeiten.
Ob es um das Aufeinandertreffen von Natur und Kultur oder von Keuschheit und Sexualität geht, bleibt meines Erachtens ziemlich offen. Glücklicherweise. Man kann sich einigermaßen frei ein eigenes Bedeutungskonstrukt bauen. Macht ja auch Laune.
Der Schreibstil entfaltet seine Wirkung natürlich in den Dialogen, es handelt sich immerhin um ein Theaterstück. Dabei erzeugt Shaffer durch ungewöhnlich genaue Regieangaben aber auch greifbare Bühnenbilder in den Köpfen der Leser. Das gesprochene Wort, das Fleisch des Stückes, ist kräftig und prägnant. Aber Shaffer verharrt nicht in einer Stimme. Meisterhaft modelliert er die Sprache für jede Rolle passend zurecht.
Nun noch ein Problem, das einige haben könnten. Soll ich ein Theaterstück lesen? Lohnt sich das überhaupt? Ist es nicht nur Werkzeug für ein größeres Produkt? Die Meinungen können da auseinander gehen. Ich sage: man kann mit Theaterstücken als Lektüre sehr viel Spaß haben. Natürlich ist ein gewisses Maß an Fantasie erforderlich, doch die ist schließlich meistens im Leben Voraussetzung für die Freude am geschriebenen Wort. Nebenbei trainiert man etwas, was auch sonst oft zum Einsatz gebracht werden kann: den inneren Regisseur.
¹ Im Vergleich zu Dingern wie Sieben oder Saw. Es passieren schon schlimme Dinge.
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- aparemfaton said: youtu.be/cQrQmvK… -love that scene
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