Novo, 17 December 2012

In Zeiten, in denen weite Teile der westlichen Welt von Rezession und Teile des Südens von Krieg heimgesucht werden, fragt man sich, warum es Menschen gibt, die ausgerechnet wegen des Schicksals einiger tausend Schafe auf die Straße gehen. Überall in Australien marschierten sie in den letzten Wochen zu Tausenden: Linke, Rechte, linsenliebende Vegetarier und fleischfressende Steak-Kauer. Aber nicht für das Ende von Armut oder Krieg oder irgendeiner anderen Plage, die große Teile der Menschheit zurzeit mit Leid überzieht, sondern für das Verbot von Lebendexporten.

Manche haben sich selbst zu Sprechern der Schafs-Community erhoben und wedeln mit Plakaten, auf denen mähende Lämmchen zu sehen sind, unter der Überschrift: „Ich bitte um Gnade“. „Stoppt den Holocaust an den Tieren!“, rufen die Demonstranten und stellen explizit den Export lebender Tiere, insbesondere an blutgetränkte Schlachthöfe in zurückgebliebenen Ländern wie Pakistan, als eine moderne Version dessen dar, was den Juden widerfuhr. Was die Protestler offensichtlich zu Schindlers des 21. Jahrhunderts macht, die die Schwachen und Hilflosen vor der Auslöschung retten.

Diese in hohem Maße moralistische und selbstbeweihräuchernde Sprache der Protestmarschierer deutet darauf hin, dass hinter der landesweiten Zurschaustellung von Schafstrauer mehr steckt als ein praktischer Ansatz zur Verbesserung der Behandlung von Nutztieren. Die Diskussion über Lebendexporte hat sich gewandelt: in ein übersimplifiziertes Moralmärchen, in dem auf der einen Seite die aufrichtigen, lämmchenliebenden Australier stehen und die barbarischen, Schafe missbrauchenden Asiaten auf der anderen. Der einzige Erfolg, den diese Proteste im Grunde haben, ist, dass sie ihren politisch korrekten Anhängern ein Gefühl moralischer Überlegenheit verleihen, das es ihnen ermöglicht, sich als die gerechten, besseren Menschen zu fühlen – und das in einer Zeit, in der die gewohnten moralischen Gewissheiten durcheinander geraten sind.

Auslöser der Proteste war das Aufdecken ziemlich unschöner Tötungstechniken, die im Zuge einer Schlachtung australischer Schafe in Pakistan angewandt wurden. Ein Video, auf dem zu sehen ist, wie pakistanische Landarbeiter Schafe zu Tode prügeln oder ihnen die Kehlen durchschneiden, führte in Australien zu landesweiter Entrüstung, wie es sechs Monate zuvor schon bei „missbrauchten und gefolterten“ australischen Rindern in Indonesien der Fall gewesen war. Eine Horde von Tierrechtsorganisationen, in der unter anderem die RSPCA und Animals Australia zu finden sind, bildet die Speerspitze einer Kampagne für das Verbot aller Lebendexporte, die auf der Behauptung fußt, dass exportierte Tiere in Teilen Asiens „grausame und barbarische“ Behandlungen erdulden müssen.

Man kommt an der unangenehmen Tatsache nicht vorbei, dass diese Protestler, von denen einige Fotos hochhielten, auf denen traurige, klagende Kälbchen mit dem Slogan „Rette mich!“ abgebildet waren, dafür kämpfen, sogenannte „australische Tiere“ vor niederträchtigen Asiaten zu retten. Darum waren bei den Massenaufläufen auch nicht nur Australier zugegen, denen pakistanische Keulenschwinger und indonesische Kälberschänder gegen den Strich gehen, sondern auch solche, die sich über den Export von Windhunden nach China aufregen. „Stoppt den Export von Windhunden nach China!“ stand auf den Plakaten. „Sie werden mit Sicherheit sterben.“ Na klar tun sie das. Alle Tiere, die nach Asien verschickt werden, sterben einen grauenhaften, blutigen Tod, oder nicht?

Jedenfalls ist das ganz bestimmt der Eindruck, den man von diesen Protesten bekommt: Dass im Gegensatz zu Australiern, die – laut Animals Australia – „Tiere lieben“ und „Grausamkeit verachten“, diese braun- oder gelbhäutigen Typen da drüben anders sind: Halsabschneider, Viehquäler, Hundemörder, brutal, grausam, barbarisch. Die Diskussionsforen auf der Internetseite von Animals Australia strotzen nur so von anti-asiatischen Kommentaren. „Diese Barbaren… sind noch nicht aus dem Mittelalter herausgekommen“, werden wir belehrt. Offensichtlich sind Asiaten oder Araber im Nahen Osten „absichtlich grausam“ – „je mehr Schmerzen sie den Tieren zufügen, desto besser gefällt es ihnen.“ Die Foren sind eine schräge Mischung aus Mitleid für Tiere und Verachtung für Menschen („Mich widert die menschliche Rasse an“, teilt uns ein verärgerter Kommentator mit), besonders für die „da drüben“.

Das ist bei Tierrechts-Aktivismus jedoch regelmäßig der Fall. Kratzt man an der Oberfläche eines lammknutschenden Liebhabers von Gottes vierbeinigen Kreaturen, findet man häufig einen darunter lauernden Misanthropen, oft sogar einen Fremdenfeind. Es hat sich zum Königsweg für die Artikulation von Geringschätzung gegenüber der modernen Welt entwickelt (industrielle Landwirtschaft, internationaler Handel, Industrie und so weiter), die Bosheit des Menschen gegenüber den Tieren zu beklagen, mit denen er den Planet teilt – und für Abscheu gegenüber Ausländern und ihren tierquälerischen Gewohnheiten.

Nehmen Sie zum Beispiel die Argumente, die von einem anderen Flügel der australischen Tierrechtsbewegung ins Feld geführt werden, den Walfang-Gegnern. Auch sie stellen Asiaten, in diesem Fall die wahnsinnigen, harpunenschwingenden Japaner, als „unzivilisiert“ dar, wie es ein Autor der Courier-Mail formulierte, im Gegensatz zu „Australien, der zivilisierten Nation von Tierfreunden“. In linken Kommentaren zum Walfang werden Japaner als „brutal grausam“, „barbarisch“ und „gefühllos“ dargestellt, was alles dazu beiträgt, das alte Vorurteil über Orientale als roboterhafte, hartherzige Halunken wiederzubeleben, im Vergleich zu uns emotional feinabgestimmten Westlern.

Asiaten stehen unter dem heftigem Feuer der westlichen Tierliebhaber. Koreaner werden dafür angegriffen, dass sie Hunde essen, als wenn das moralisch irgendwie schlimmer wäre als ein Hühnchen oder Kaninchen zu verspeisen, wie wir es hier tun. Eine amerikanische Wohltätigkeitseinrichtung, die sich „Dogbiz“ nennt, behauptet, dass Koreaner „große Freude dabei empfinden, (Hunde) sterben zu sehen, wenn sie im letzten Moment in einem verzweifelten, aber sinnlosen Versuch, Gnade zu erfahren, mit dem Schwanz wedeln.“ Der britische Sänger Morrissey, dessen Song „Meat is Murder“ aus dem Jahre 1985 ganze Schwadronen westlicher Jugendlicher in missionierende Vegetarier verwandelte, äußerte sich unlängst über die chinesischen Gewohnheiten bei der Behandlung von Tieren und beim Essen: „Man kann nicht anders, als das Gefühl zu bekommen, dass die Chinesen Untermenschen sind.“

Und weil sich Tierrechts-Aktivismus so gut dazu eignet, wegen der perversen Grausamkeit von Ausländern, insbesondere Asiaten, Alarm zu schlagen, nimmt es nicht Wunder, dass einige rechtsextreme Gruppen sich der tierliebenden Lobby angeschlossen haben. Das britische antifaschistische Magazin Searchlight druckte einst ein Exposé mit dem Titel: „Die äußerste Rechte ist tierlieb geworden“. Es deckte auf, dass sowohl britische als auch italienische Neofaschisten selbst Tierrechtsgruppen gebildet hatten, mit Namen wie „Greenwave“, um ihrer Wut über das Verhalten von Ausländern eine Stimme zu geben.

Natürlich soll damit nicht unterstellt werden, dass die Männer und Frauen, die in den Straßen von Sydney, Melbourne und Brisbane mit herzzerreißenden Bildern von Schafen und Kühen wedeln, Faschisten, Rassisten oder Misanthropen seien. Aber es gibt definitiv eine unangenehme Wechselwirkung zwischen der Fürsorge für Tiere und dem Verhöhnen von Menschen; zwischen den Standpunkten, Lämmer als arme, leidende Opfer und Menschen als verderbt und scheußlich anzusehen.

Das Problem ist die Bambifizierung der Politik, die Suche nach kindgerechten Schlachten zwischen Gut und Böse, die linken Demonstranten das pulsierende Gefühl der moralischen Entrüstung und Überlegenheit gibt. Denn natürlich braucht jede dieser bambifizierten Schlachten ihre engelsgleichen Aushängeschilder – in diesem Fall rehäugige Lämmer – und ihre Bösewichte – in diesem Fall messerschwingende, sadistische Asiaten.

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