KATYA SANDER

My work is about production and circulation of publics, economic systems and other social imaginaries, i.e. ways and institutions in which we imagine ourselves, and what we do to sustain (or escape) these.
It often involves questioning production of spectatorship. For archive, see katyasander.net

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“¡Mueve te!” Bewegungen im Kunstwerk als Positionierungen im Feld

This is a fragment from a great text by Jens Kastner. Read full text via link. (German only)

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Auch der aus Dänemark stammenden Künstlerin Katya Sander geht es um die Konstruktion des Raumes, auch in ihren Filminstallationen tauchen Hinweise auf soziale Bewegungen auf. Eine in der globalisierungskritischen Bewegung der letzten Jahre immer wieder diskutierte und nie erschöpfend zu beantwortende Frage ist titelgebend für eine Videoinstallation Sanders: “What is Capitalism?” (2003). Darin spielt die mit Mikrofon ausgestattete Künstlerin selber die Befragerin in einer Umfrage, checkt Kameraeinstellung und Technik und stellt die Titelfrage an PassantInnen. Das geschieht in einem Ambiente, das nach Hitchcocks Antwort auf die Frage “Wie vermeide ich ein Cliché?” arrangiert zu sein scheint: Wie Cary Grant in “Der unsichtbare Dritte” nicht an einer dunklen Straßenecke im Regen auf seine Verfolger wartet, sondern zwischen sonnenüberfluteten Feldern, die weitläufiger nicht sein könnten, steht auch Katya Sander in einer Brachlandschaft statt in der Fußgängerzone. Die räumliche Ordnung, in der Installation durch Spiegel rechts und links der Leinwand in den Betrachterraum verlängert, verlängert auch die End- und Aussichtslosigkeit der ökonomischen Verhältnisse, nach denen gefragt wird.[21] Zwar haben alle etwas zu sagen, auch wenn manche sich über die Frage wundern. Gerade diese Vielstimmigkeit aber verweist weder darauf, dass verstanden wird, wonach gefragt ist, geschweige denn darauf, dass an Alternativen gedacht würde. Um beides bemühen sich in der Regel soziale Bewegungen, beides wird zumindest in ihnen verhandelt. Diese radikalen (Selbst-)Ansprüche sozialer Bewegungen beispielsweise in Form des Dutschke-Imperativs, den Kapitalismus verstehen zu müssen, um ihn bekämpfen zu können, werden in Sanders Arbeit als gnadenlos uneinholbar ausgewiesen. Zugleich wird die gegenwärtige kulturelle Verortung sozialer Bewegungen durch eine einfache Gegenfrage lokalisiert: Nur durch die Titelfrage motiviert, fragt eine Passantin zurück: “Bist Du Sozialistin, oder was?” Allein die Frage nach dem Kapitalismus scheint die/den Fragenden ins Abseits zu stellen, wo sich der Sozialismus (in welcher Form auch immer) heute sozial- wie ideengeschichtlich befindet. 
Möglicherweise eine Sozialistin, auf jeden Fall aber eine Aktivistin streift durch eine andere Videoinstallation Sanders. In “Exterior City” (2005) ist eine junge Frau unterwegs durch verschiedene soziale Wohnanlagen, ausgerüstet mit Klebeband und einer Plakatrolle und damit beschäftigt, hier und da ihre Aushänge an Wände und Türen anzubringen. Über den Inhalt der Plakate ist nicht mehr zu erfahren als ihr appellativer Charakter (“Liebe MitbürgerInnen”, “Liebe MitstreiterInnen”, etc.). Die Kulisse erweist sich als eine Mischung aus sozialdemokratischer Architektur in Wien und in Malmö, die abwechselnd und durcheinander den Hintergrund für das recht einsame Treiben der Aktivistin bietet. Erwin Panofskys Frage, wie sich eine bestimmte Gedankenwelt in Architektur übersetzt, wird hier nur mehr als unwirklich wirkende soziale und räumliche Realität vorgeführt. Dabei ist aber die klassisch wohlfahrtstaatliche Herrichtung des öffentlichen Raumes nicht das eigentliche Thema der Projektion, auch wenn sie architektonischer Background und potenzielle Folge des Aktivismus zugleich ist. Vielmehr geht es um die quasi handgemachte Herstellung von Öffentlichkeit. Was der Film vorführt, ist die einfache Feststellung, dass Öffentlichkeit nie einfach so existiert, sondern konstruiert werden muss. Während die Ergebnisse vergangener Stadtplanung im Hintergrund für die verfestigte, institutionelle Seite dieser Feststellung stehen, richtet sich der Fokus auf die Aktivistin und damit “auf das tatsächliche Organisationsprozedere”.[22] Wenn eine der Stimmen aus dem Off in “Exterior City” anregt, auffordert oder vorschlägt “Imagine the city as a screen”, wird auch der Doppelcharakter der künstlerischen Arbeit deutlich. Sie analysiert die Bedingungen, unter denen Öffentlichkeit hergestellt werden kann, und ist als Werk zugleich in die Prozesse der Konstruktion verstrickt.

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