August 27, 2014
Stuttgarter zeigen ihr #stgt2014

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Die neue Heimatliebe treibt aktuell dutzende Social-Media-Nutzer dazu an, Stuttgart-Fotos unter dem Hashtag #stgt2014 ins Netz zu stellen. Neben den Likes anderer Nutzer winkt ein ganz kleines Stück Ewigkeit: Das Stadtmuseum Stuttgart, das die Aktion gestartet hat, will alle #stgt2014-Fotos in Buchform in den Grundstein des Museums einlassen – auf dass sie in vielen Jahren von den Stuttgartern der Zukunft gesehen und hoffentlich für gut befunden werden.

Seit Ende Juli, als die Aktion über Social Media beworben wurde, gingen rund 600 Bilder unter dem Hashtag ein. Markus Speidel, der in verschiedenen sozialen Medien den Auftritt des Stadtmuseums managt und nach eigenen Angaben mit der Aktion bei den Museumsmachern „offene Türen eingerannt“ hat, spricht von einem „wahnsinnigen Run“. Zumal noch anderthalb Monate bleiben; alle Stuttgart-Bilder, die bis zum 5. Oktober unter #stgt2014 ihren Weg auf Instagram, Twitter, Facebook, Flickr, Tumblr oder Google Plus finden, kommen in den Grundstein des Stadtmuseums. Die Grundsteinlegung im Wilhelmspalais, das derzeit eine gewaltige Baustelle ist, soll am 4. November stattfinden.

Dieses virulente Stuttgart-Gefühl

Warum macht man bei so einer Aktion mit? „Es gibt gerade dieses virulente Stuttgart-Gefühl“, sagt Markus Speidel – also diese unter anderem in sozialen Medien ausgedrückte Sympathie für die Heimatstadt, die anderswo selbstverständlich ist, von den Stuttgartern aber offenbar gerade erst gelernt wird. „Die Leute lieben gerade ihre Stadt und wollen sie in Bildern zeigen“, glaubt Speidel.

Und welchen Blick werden die künftigen Stuttgarter auf das Stuttgart des Jahres 2014 bekommen? Speidel hat viele „klassische Motive, wie sie in Werbebroschüren abgedruckt werden könnten“ ausgemacht. Aber auch Verstörendes, die Schattenseiten der Großstadt. Und: relativ wenige Selfies.

Eine Ausstellung, ein Buch?

Derzeit soll mit den Bildern wenig mehr geschehen, als dass sie ihren Weg in den Grundstein des Stadtmuseums finden sollen – und, eine Auswahl davon, in eine Broschüre für die Festgäste. Ob, wie von zahlreichen Teilnehmern angefragt, daraus auch ein im Handel verfügbares Buch entstehen soll, ist ungewiss – weil es schwierig wäre, die Rechte für die Bilder einzuholen. Aber vielleicht macht sich das Stadtmuseum die Mühe. Und: möglich, dass die Fotos irgendwann Teil einer Ausstellung werden. Das aktuelle Stadtgefühl fangen sie jedenfalls ein, und späteren Generationen werden wir als Menschen des Jahres 2014 gewiss als diejenigen gelten, die ihr Leben in sozialen Medien festgehalten und mit ihren Mitmenschen geteilt haben.

So oder so ähnlich wird es auch in den Erläuterungen stehen, die den Fotos im Grundstein des Stadtmuseums beigefügt werden. Außerdem wird man den Stuttgartern des Jahres, sagen wir 2153, neben dem Phänomen Social Media auch manche Stuttgart-Motive erklären müssen. „Vielleicht ist es in hundert Jahren schwierig zu verstehen, warum man eine Rolltreppe fotografiert?“, fragt sich Markus Speidel. Er jedenfalls würde viel dafür geben, heute ein Buch mit Alltagsmotiven zu finden, die ganz normale Stuttgarter vor hundert Jahren fotografiert haben. Gibt’s aber leider nicht.

Was 1905 den Weg in den Grundstein fand

Was es hingegen gibt: den Grundstein des Stuttgarter Rathauses und die Kapsel, die man 1905 dort hineingelegt hat; heute ist sie im Stadtarchiv gelagert. Als der Grundstein 1955 anlässlich des Wiederaufbaus des Rathauses geöffnet wurde, fanden sich dort eher profane Wünsche – etwa dass die Bauherren späterer Zeiten spendabler seien oder die Bauarbeiter mit mehr Wein versorgt würden.

„Die Leute haben sich 1905 also auch nicht den Riesen-Schädel gemacht“, sagt Markus Speidel mit Blick auf die noch zu formulierenden Erläuterungen zu den #stgt2014-Fotos, „die Leute, die das bei den nächsten Baumaßnahmen am Wilhelmspalais finden, werden sich schon einen Reim machen können“.

(Stuttgarter Zeitung, Lokales, 23. August 2014)