Das Genre der Longreads boomt - nicht nur in Amerika, sondern auch auf deutsch. Deshalb stellen wir in den nächsten Tagen in loser Folge einige Publikationen vor, die sich um die Förderung der Lesefreude verdient gemacht haben.
Folge 1: Hannes Grassegger vom Magazin Reportagen beantwortet unseren Fragebogen
Warum gibt es “Reportagen”?
Weil wir uns dachten, dass es Zeit ist, den Lesern bessere Texte zu geben, dass das die beste Antwort auf die Krise des Journalismus ist – statt an Qualität und Autorengehältern zu sparen. Daher konzentrieren wir uns auch ausschliesslich auf die Königsklasse: die Reportage. Bei uns gibt es jedes Mal sechs exklusive Reportagen. Eigenleistungen und Erstübersetzungen von super Stücken. Das kommt daher, dass wir begeisterte Leser amerikanischer Magazine, Harper’s, New Yorker, McSweeneys und der lateinamerikanischen Crónicas sind. Das ist ein eigener Journalismus-Stil, begründet von Gabriel García Marquez (hier unser Besuch bei ihm kurz vor seinem Tod). Das macht extrem Spass zu lesen und es informiert gleichzeitig. Sowas wollen wir den deutschsprachigen Lesern bringen. Das REPORTAGEN Magazin haben wir 2011 als erstes deutschsprachiges Magazin für literarische Reportagen gegründet – heute ist es in Deutschland, der Schweiz und Österreich an grossen Kiosks, Buchläden und hier im Netz erhältlich. Gründer und Chef ist der frühere NZZ Journalist Daniel Puntas-Bernet, der einen Traumjob kündigte um seinen Traum vom Journalismus zu verwirklichen. Und sogar Arbeitsplätze dabei geschaffen hat. Sein eingeschworenes Redaktionsteam arbeitet vom Käfiggässchen in Bern – und einer Aussenstelle in Berlin – daran exzellente Autoren und unerhörte Geschichten aufzutreiben. Wir sind das unabhängige Magazin für erzählte Gegenwart. In Buchform.

Was ist das Besondere an Longreads?
Wir glauben, dass Viele sich heutzutage nach Essentiellem sehnen - und lieber auf
Schrott verzichten. Sie wollen saubere, gesunde Nahrung und anständigen,
anregenden Journalismus. Sie wollen ein exzellentes Magazin, auf das man sich
verlassen kann, und dessen Texte den Wert behalten. Jede REPORTAGEN
Ausgabe kann man auch gut noch Jahre später lesen. Manche benutzen unsere
Magazine auch als Coffetable Schmuckstück. Ganz wie früher mal National
Geographic. Das hat was mit bleibenden Werten zu tun. Einer Einstellung die wir
haben. Es gibt soviel Wegwerfware und Nachgeplappertes – unsere Autorinnen und
Autoren hingegen schauen sich die Lage vor Ort an. Sie gehen Sachen nach, die die
gehetzt twitternde Medienmeute übersieht. Wir geben unseren Journalisten Zeit
nachzudenken. Feilen mit ihnen an Texten. Ergebnis sind Reportagen, die sich lesen
wie spannende Kurzgeschichten, wie gute Dokumentarfilme. Exzellent erzählte reale
Ereignisse. Es gibt keinen besseren Weg, Menschen etwas nachvollziehen zu lassen,
als eine gut erzählte Geschichte. Denn alles was wir empfinden, schmecken, sehen
beginnt im Hirn. Und genau dorthin schleicht sich dieser klare Faden des Longread-
Textes. Daher verzichten wir auch auf Fotografie und haben unseren eigen Schrifttyp
entwickelt. Wir glauben dass Longreads gerade im Webzeitalter optimal sind. Sie
eignen sich optimal um dieses Gefühl des Eintauchens und des Flows zu
bekommen.
Lesegerät oder Papier?
Wir erscheinen 6-mal im Jahr in Buchform auf Papier. Im Taschenformat. Schweizer
Design im Leineneinband. Papier mögen wir am liebsten – aber viele unserer Leser
nehmen auch das Digitalabo für ihr Ipad. Das ist günstig, nur 50 Euro.
Jede Ausgabe unseres Magazin enthält im Kern sechs Dok-Filme, die sich in 20
Minuten lesen lassen. Wir sind ja aus Bern, der zweitlangsamsten Stadt der Welt.
Hier drängt man die Leute nicht, sondern lässt sich Zeit. Eine Möglichkeit sich von
der Geschwindigkeits-Euphorie abzusetzen, und die Welt anders zu sehen.
Was macht eine gute Reportage aus?
Wir sind gegen Standards. Jede unserer Reportagen ist ein Einzelstück. Und wirklich
unterschiedlich. Diese Art des Langformschreibens mussten wir im deutschen Raum
erstmal mitentwickeln. Das war rar. Manchmal liegt die Essenz im Thema, manchmal
in der Perspektive, manchmal im Schreibstil. Wir haben junge Autoren, Leute, die
zum ersten und vielleicht einzigen Mal schreiben, so wie dieser Berliner Sprüher
Just, der einfach mitten ins Kriegsgebiet nach Aleppo gereist ist. Oder Autoren-Stars
wie Roger Willemsen, Michael Paterniti und Erwin Koch. Wir hatten Stücke über
Entwicklungshelfer im Sexrausch, Amerikas bestem Drogenreporter, ein
Unternehmen das eine Insel regiert, Pariser Ladies die zur Sommerfrische
aufbrechen. Wir wollen wirklich rein und ran an diese Welt. Dafür haben wir übrigens
das Muhamed Beganovic Stipendium ausgelobt – das erste Journalisten-
Förderstipendium im deutschen Raum mit moslemischen Namen. Wir wollen der Ort
werden, wo gemeinsam an der Zukunft des tollen Schreibens gearbeitet wird. Und
zwar ohne bestimmte Gruppen auszuschliessen, vor allem jene, die es sich nicht
leisten können, zu Sklavenlöhnen zu schreiben (wie das derzeit oft üblich ist).
Kürzlich haben wir beim Reportagen-Magazin auch eine Investigativ-Serie mit
Unterstützung der Rudolf Augstein gestartet. Es macht uns wahnsinnig stolz, dass
wir mittlerweile sogar einen der renommiertesten Journalisten Preise gewinnen
konnten, den Reporterpreis.
Ein Beispiel bitte!
Hier gleich die prämierte Story Der Mörder als Pfleger von Claas Relotius, ein Bericht
aus den überbordenden US-Gefängnissen, in denen Häftlinge andere Häftlinge im
hohen Alter pflegen. Und dann die Engtanz-Reportage von Hannes Grassegger. Mal
was liebevolles.
Danke für das Interview und Euer Interesse. Kommt doch mal auf eine unserer
Lesungen und lernt unsere Community kennen.
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