Die Kraft der Fotografie

Was kann Fotografie?
Bilden Fotos die Wirklichkeit ab?
Erzeugen Fotos Realität?
Oder sind fotografische Bilder vielmehr ein Spiegel dessen, was die Fotografen interessiert, womit sie in Beziehung treten?

Es war einmal, vor sehr langer Zeit, da dachte man, dass man mittels Fotografie die Wirklichkeit darstellen könne. Die Fotoapparate besassen Objektive mit denen die Realität eingefangen wurde. Die Menschen liessen sich in imposanten Posen darstellen, um etwas darzustellen. Die Fotografie unterschied sich von der Malerei nicht so sehr durch die Motive als dadurch, dass das Abbild nun echt, also real war.

Bald jedoch bemerkte man, dass diese „Objektive“ eigentlich „Subjektive“ waren, denn Zeitpunkt, Ausschnitt, Aufnahmewinkel, Schärfe usw. werden ganz subjektiv vom Fotografierenden bestimmt.

Alles was sich vor, hinter oder neben dem Ausschnitt abspielt ist auf dem Abbild nicht vorhanden und entzieht sich dem Betrachter und somit auch der wahrnehmbaren Wirklichkeit. Susan Sontag schreibt in Ihrem Essay „über Fotografie“: „Fotografische Bilder aber scheinen nicht so sehr Aussagen über die Welt als vielmehr Bruchstücke der Welt zu sein.“ So lassen sich mittels Bildunterschriften gleiche Bilder mit gegensätzlichen Aussagen formulieren und somit manipulieren. Ganz abgesehen von den Möglichkeiten der Retusche im Zeitalter von Photoshop.

Ein Beispiel dafür ist das berühmte Foto vom „sterbenden Soldaten“, fotografiert von Robert Capa während des spanischen Bürgerkrieges. In seinem Nachlass fand man viele Negative, gemacht vom selben Standpunkt mit immer demselben Sujet: einem Soldaten, der das Gewehr von sich wirft und zu Boden fällt. Also, aller Wahrscheinlichkeit nach, eine gestellte Situation. Dies ist nur eines von unzähligen Belegen.

Das sind Beispiele, wo die Fotografen Einfluss auf die Gestaltung des Fotos nehmen und es somit zu ihrem subjektiven Statement machen.

Darüber hinaus gibt es aber zahlreiche Hinweise, dass das, was wir fotografieren nicht die „Realität“ abbildet, sondern „Das Bild ist eine Imitation des Sehens.“ um es mit David Bohm auszudrücken.

Es geht also nicht um die Realität, ums Abbilden von Wirklichkeit, sondern um die Illusion, dass das, was wir wahr-nehmen, auch wahr ist. Dieses Wort wahr-nehmen drückt es schon sehr deutlich aus. Das was wir mittels unserer Sinne erkennen, oder besser zu erkennen glauben, halten wir für die unabdingbare Wahrheit. Nun müssen wir aber ein-sehen, dass dem nicht so ist, dass uns unsere Sinne ein Theaterstück vorspielen und wir es für das Leben halten.

So hat man herausgefunden, dass die Informationen beim Sehen nur zu 20%!! von der Netzhaut stammen, der Rest ist Interpretation des Gehirns. Das heisst also, wir sehen nicht die Ergebnisse, sondern deren Interpretationen. Das hat Vorteile im Überlebenskampf, so müssen wir nicht warten bis wir den Löwen als solchen wirklich sehen, sondern wir Interpolieren das Bild vom Löwen schon aus grosser Entfernung und erkennen ihn als „Raubtier“. Das lässt uns eventuell noch die Möglichkeit zur Flucht.

Wir erkennen das Gelb eines Postkastens immer als dasselbe Gelb, obwohl das Licht in der Früh eine ganz andere Farbe, genauer Farbtemperatur, hat, als zu Mittag; oder in der Sonne eine ganz andere als im Schatten. Wir aber glauben, immer dasselbe Gelb zu sehen.

Es gibt den sogenannten blinden Fleck, also einen Teil des Gesichtsfeldes, in dem wir nicht sehen können, aber es fällt uns niemals auf, denn wir Interpolieren diesen kleinen Teil und lassen es so unser Bewusstsein nicht merken.

Beim Fotografieren von Gebäuden haben wir sehr oft das Problem der „stürzenden Linien“, das heisst, die Gebäude scheinen irgendwie umzufallen, sie verjüngen sich nach oben und oft scheinen sie in die eine oder andere Richtung zu kippen. Wie kommt das? Wenn wir ohne Fotoapparat dasselbe Haus ansehen, dann ist dieser Effekt nicht zu bemerken. Die Lösung liegt darin, dass es die Perspektive natürlich auch in die vertikale Richtung gibt, bei Wolkenkratzern merken wir es, aber bei einem 2 oder 3 stöckigen Haus nicht. Wieder manipuliert das Gehirn das eingehende Bild dahin, dass es das Haus „gerade stellt“, denn wir wissen, dass das Haus nicht stürzt, also sehen wir es auch nicht stürzend.

Spannend in diesem Zusammenhang ist die Theorie, dass die Indianer die Schiffe von Columbus nicht sehen konnten, weil man, laut dieser Idee nur das sehen kann, was man kennt. Und die Indianer kannten keine Schiffe dieser Grössenordnung.

Als Metapher für unsere Sichtweise sei hier „Platons Höhle“ erwähnt. Die seit ihrer Kindheit Gefangenen sind so gefesselt, dass sie nur ihre eigenen Schatten und die der Vorbeigehenden an der gegenüberliegenden Wand sehen können. Alles was sie je zu Gesicht bekommen sind Schatten, ihre eigenen und die der Menschen die vorbei gehen. Ergo müssen sie glauben, dass diese Schatten reale Menschen sind. Wenn jemand spricht, hallt das Echo von der Höhlenwand so zurück, als ob die Schatten sprächen. Daher meinen die Gefangenen, die Schatten könnten reden. Sie betrachten die Schatten als Lebewesen und deuten alles, was geschieht, als deren Handlungen. Das was sich auf der Wand abspielt, ist für sie die Wirklichkeit

Es gibt noch unzählige andere Beispiele, die belegen wie wenig wir uns auf unsere Sinne verlassen können, wie sehr wir einer Chimäre aufsitzen, indem wir meinen, wir könnten mit unseren Sinnen die Umwelt objektiv erfassen.

Was bedeutet das für die Fotografie?

Zuallererst wohl Abschied von der Idee zu nehmen, die Wirklichkeit zu dokumentieren. Indem wir das Geschehen beobachten, greifen wir ein und verändern es. Das ist, wenn auch in anderem Zusammenhang, eine d e r Erkenntnisse der Quantentheorie.

Indem unser Vis a Vis weiss, dass es fotografiert wird, verändert es sein Verhalten, ist nicht mehr so unbefangen. Und das zeigt sich zum Beispiel in der Mimik. Darum sind die sogenannten „Schnappschüsse“ von Verwandten, von Freunden, von Amateuren auch oftmals die besten, im Sinne von -die Persönlichkeit am besten charakterisierenden- Aufnahmen. Das Wissen über fotografische Techniken ist nicht so wichtig. Viel wesentlicher ist der Umstand, wie gut sich der Fotograf und das Objekt seiner fotografischen Begierde kennen, wie sehr sie einander vertrauen. Dieses Vertrauen bewirkt eine entspanntere Mimik des Gegenübers und daher ein treffenderes Bild.
Indem wir durch den Sucher schauen, generieren wir unsere eigene Realität, den Ausschnitt auf den wir fokussieren, die Umstände die wir produzieren. Licht, Jahreszeit, Witterung beeinflussen die Bilder genauso, wie Stimmung, Ort und Zeitpunkt. Egal ob es sich um Aufnahmen von Mensch, Natur oder Technik handelt, immer ist der Fotograf auch Produzent dieser Umstände.

Wenn wir also nicht mehr den Anspruch erheben können, die Wahrheit zu dokumentieren, die Wirklichkeit abzubilden, erhalten wir die Freiheit, die Bilder in unserem Sinne zu gestalten. Das Foto sagt daher zuerst etwas über den Künstler aus und erst in zweiter Linie über das, was abgebildet wird. Wir sehen die Welt so wie wir sind und nicht so wie sie ist.
Dieser Umstand ist auch für die Auftraggeber von Bedeutung. Indem sie sich an Fotografen wenden, die die Bilder in ihrem Sinne interpretieren, erhalten sie Fotografien, die ihren Vorstellungen entsprechen.

Fotos sagen etwas darüber aus, was uns interessiert, worauf wir unseren sprichwörtlichen Focus legen und das bedarf, mit dem Gegenüber in Beziehung zu treten. Dabei spielt es keine so grosse Rolle, ob dieses Gegenüber ein Mensch, eine Landschaft oder ein Objekt ist. Ich denke, dass man ein gutes Bild daran erkennen kann, dass man das Wesentliche erfasst hat. Es ist ein grosser Unterschied im Ergebnis, ob ich mit einem Menschen ins Gespräch komme, ob es mir gelingt während der Fotosession mit ihm in Beziehung zu treten oder ob er sich entzieht. Von so manchem der grossen Fotografen des vorigen Jahrhunderts wird erzählt, dass sie sich manchmal tagelang mit ihrem Gegenüber beschäftigten, bei ihm ein-und ausgingen, bevor sie zu fotografieren begannen.

Ich kann auch mit einer Landschaft oder einem Gebäude in Beziehung treten, deren Qualitäten erkennen, deren eigenen Reiz herausfinden und im Bild festhalten.
Das Foto ist das Endprodukt, das Ergebnis eines langen Arbeits- und Beschäftigungsprozesses. Es ist daher kein Glück wenn das Licht perfekt passt, der Standpunkt der richtige ist, sondern ein Akt intellektueller oder intuitiver Entscheidung. Was wir zu sehen bekommen ist das Ergebnis. Der Prozess bleibt im Verborgenen aber er vermittelt sich durch ein „stimmiges Bild“. Die Arbeitsweise selbst kann sehr unterschiedlich sein, schnelleres Erfassen der Situation im Portraitieren und manchmal stunden - oder tagelanges Warten auf das richtige Licht, den passenden Augenblick, wo die Dinge in einer Weise zusammenstimmen, dass es ein Ganzes ergibt.
Aber letztlich geht es immer darum, das Charakteristische zu fotografieren, die Seele dessen zu finden, womit sich der Fotograf beschäftigt.

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