Advent im Krieg
Wir saßen zu dritt um den Tisch . Mutti faltete ihre Hände zusammen. Sie vermied den ganzen Abend meinen Blickkontakt . Ich sah, dass auf ihren Handgelenke die Adern geschwollen waren , an denen sie vor ein paar Monaten noch goldene Armbänder getragen hatte. Sie hatte auch große Ringe unter den Augen, und Falten auf dem Gesicht. Es tat mir weh, sie so zu sehen. Früher war sie wöchentlich zum Frisör und zum Kosmetiker gegangen.Sie schien, innerhalb von 3 Monaten um Jahre zu altern.
Auf dem Tisch lag der Adventskranz. Meine 8-Jähige Schwester, Elena brach die Stille:
-Darf ich die Kerzen anzünden?
-Ja, gerne! Hol die Streichhölzer aus der Küche! - Während meine Mutter antwortete, hob sie den Blick nicht vom Tisch . Als Elena zurückam, fragte ich sie nett:
-Weißt du, welche, und wie viele Kerzen wir heute anzünden können?- Sie dachte für eine kurze Weile nach, und sagte ein bisschen unsicher:
-Heute ist der zweite Adventssonntag, so können wir zwei Kerzen anzünden. Vielleicht die goldene und die blaue.
-Genau! - sagte ich zufrieden. Dann setzte auch Mutti fort.
-Die goldene Kerze für Gerechtigkeit, und die blaue für Hoffnung. In diesem Jahr bitten wir nur darum vom Christkind. Ist es in Ordnung, Elena?- Sie schien nicht enttäuscht zu sein, nur sagte sie leise:
-Okay, aber ich habe schon einen Brief ihm geschrieben. Darf ich ihn morgen versenden? Ich habe wirklich nur einen Wunsch.- Meine Mutter seufzte, aber nickte.
-Ich verspreche es Dir! Sag mir doch bitte die Adresse vom Christkind!
-Du kannst einfach unsere eigene Adresse aufschreiben, und es wird Bescheid wissen, wem und wohin das Geschenk geliefert sein soll. - Danach sahen wir still, wie die Kerzen brennen. Der Duft der Flammen vermischte sich mit dem Tannenaroma. Gegen 10 Uhr schlief meine Schwester ein. Mit Mutti gingen wir auf die Terrasse raus. Sie zündete sich eine Zigarette an, und bot mir auch eine an. Ich war überrascht, weil sie sonst nie unterstützte, dass ich rauche.
-Was ist los, Mama? - Sie antwortete, aber nicht auf meine Frage.
-Die Geschichte wiederholt sich wirklich. Mit 18 solltest du schon begreifen, was gerade passiert. Dein Vater hat am Freitag den Einberufungsbefehl bekommen. In Europa können wir den Krieg nicht vermeiden.
-Warte mal! Du hast gesagt, dass er einen Urlaub mit seinen Freunden macht!
-Es tut mir Leid! Ich habe auf die richtige Zeit gewartet, aber du hast ja recht, ich sollte von Anfang an ehrlich sein. Aber jetzt habe ich schon einen Plan, und ich wollte nicht, dass du verzweifelst.
-Dann, weih bitte mich endlich ein!
-Also, zuerst sollten wir hier in Deutschland alles verkaufen. Ich kenne schon die Personen, die ich bestechen kann, damit dein Vater freigelassen wird.Und danach ziehen wir nach Australien um. Wir werden alles wieder aufbauen müssen, aber später wird es einfacher sein.
-Wenn ich gut verstehe, werden wir auch flüchten.
-Lieber beginnen wir ein neues Leben, und passen wir uns an die neue Situation an.
-Und werden wir die Freunde im Stich lassen?
-Die Familie ist am wichtigsten. Und wir haben ja großes Glück, dass wir es uns leisten können.
-Und was ist mit Elena? Mit 8 Jahren sollte sie sich auf Weihnachten freuen!
-Na ja, und Jaron sollte sich mit 20 auf sein Abitur vorbereiten.
-Warte noch mal! Was ist mit meinem Bruder?
-Er nimmt gerade mit deinem Vater an einer Ausbildung zum Soldaten teil. Jetzt siehst du auch ein, dass wir keine andere Möglichkeit haben?- Ich antwortete nicht. Wir saßen nur für eine Weile auf der Terrasse, ohne miteinander zu sprechen.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Vorher hatte ich über den Krieg nur in Geschichtsbüchern gelesen. Die Illustrationen fielen mir plötzlich ein: auf der Straße liegende Leichen, Kampfwagen, betende Frauen, weinende Kinder und zerstörte Gebäude. Ich war nicht in der Lage, mir vorzustellen, dass so was in Wirklichkeit auch passieren kann. Ich machte die Augen zu, und hoffte darauf, dass wenn ich sie wieder öffne, wird dieser Albtraum verschwinden.
Am nächsten Morgen sollte ich meine Schwester in die Schule begleiten, weil meine Mutter einen Käufer für unser Haus fand. Er bot 100.000. Euro dafür. Meine Eltern hatten es damals für fast 500.000.Euro gekauft, aber ich erfuhr, dass die Wirtschaft dem Zusammenbruch nahe ist.
Auf dem Weg zur Grundschule fanden wir einen Postkasten. Elena hielt vor ihm und fragte leise:
-In diesem Jahr wünsche ich mir etwas besonderes.- Dann warf sie schnell ihren Brief ein, und wir gingen weiter auf dem schneebedeckten Fußweg.
Im Gymnasium hatte ich viele Freistunden. Die meisten Lehrer sollte ebenfalls eine Ausbildung machen, die Lehrerinnen kümmerten sich um ihre Männer, so endete mein Tag 2 Stunden früher. Während ich nach Hause ging, sah ich, dass in der Stadt die Schaufenster mit Weihnachtslichtern dekoriert sind. Auf dem Marktplatz fand ein Weihnachtsmarkt statt. Ich roch den Duft des Glühweins und der Zimtkerzen. Am meistens mochte ich immer die Vorweihnachtszeit, weil die Stimmung überall so anheimelnd war. Ich wollte einfach diese Augenblicke genießen, und alles Schlimme ausschließen, aber der Winterwind schlug mir ins Gesicht, und ich war wieder wach.
Als ich in unser Haus eintrat, bekam ich sofort ein schlechtes Vorgefühl. Die ganze Wohnung schien leer zu sein, obwohl meine Mutter zu Hause sein sollte. Dann fand ich sie im Wohnzimmer, auf dem Sofa bewegungslos sitzend. Sie hielt ein Papierstück im Hand.
-Mama, geht es dir gut?- Mit zittriger Stimme hat sie geantwortet.
-Ein Polizist hat mich besucht, und er hat mir Bescheid gesagt, dass es heute in der Grundschule einen Terroranschlag gab,und niemand hat ihn überlebt.- Ich verstand die Bedeutung der Wörter nicht, nur las den Brief meiner Mutter durch.
Dieses Jahr habe ich wirklich nur einen Wunsch, wie ich es meiner Mutter versprochen habe. Ich möchte einfach, dass meine Familie wieder zusammen ist. Du kannst du dich um den Frieden kümmern, und auf diese Weise alles lösen.
Zu jener Zeit verstand ich gar nichts, und hatte keine Ahnung, wovon meine 8-Jährige kleine Schwester so viele Informationen bekam. Danach begriff ich die Tatsache, die ich vorhin hörte, und mir wurde schwindelig.